Der BGH hat mit Beschluss vom 26.02.2014 ausgeführt, dass ein Opfer von Gewalt auch einen Anspruch auf Verpflichtung zur Aufgabe einer nicht gemeinsam genutzten Wohnung entsprechend § 1004 BGB haben kann und diese Verpflichtung Inhalt einer Anordnung nach § 1 GewSchG sein kann.
BGH, Beschluss vom 26.02.2014, AZ XII ZB 373/11
Sachverhalt
Die Beteiligten sind getrennt lebende Eheleute. Die Trennung war von erheblichen Auseinandersetzungen geprägt. Es waren mehrere Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz anhängig, in denen Näherungs-, Betretungs- und Kommunikationsverbote gegen den Ehemann angeordnet wurden. Die Ehefrau zog im Verlauf der Trennung aus der bisherigen Ehewohnung in ein Mehrfamilienhaus um. Unter Vorspiegelung eines falschen Namens gelang es dem Ehemann, die direkt unter der Wohnung der Ehefrau liegende Wohnung anzumieten. Dadurch kam es weiterhin zu Begegnungen der Beteiligten, die bei der Ehefrau zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt haben und eine psychiatrischer Behandlung erforderlich machen.
In einem weiteren Verfahren hat das Amtsgericht dem Antragsgegner das Betreten der Wohnung der Antragstellerin, das Herbeiführen von Begegnungen im Treppenhaus und das Aufsuchen der Antragstellerin an ihrem Arbeitsplatz verboten. Außerdem hat es ein Kontakt- und Kommunikationsverbot erlassen. Den weitergehenden Antrag, den Antragsgegner zu verpflichten, aus dem Mehrfamilienhaus auszuziehen, hat das Amtsgericht zurückgewiesen.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin blieb erfolglos, die Rechtsbeschwerde hatte hingegen Erfolg.
Die Entscheidung des BGH
Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die Frage nach einer geeigneten Anspruchsgrundlage für die Verpflichtung des Antragsgegners, seine Wohnung aufzugeben. § 2 GewSchG biete für die beantragte Maßnahme keine Rechtsgrundlage. Diese Vorschrift betreffe nach ihrem eindeutigen Wortlaut lediglich den Fall einer von Gewaltopfer und -täter ursprünglich gemeinsam genutzten Wohnung. Die Bestimmung könne daher auf den vorliegenden Fall weder direkt noch entsprechend angewendet werden.
Dahingegen sei § 1 Abs. 1 GewSchG hinsichtlich der zum Gewaltschutz erforderlichen Maßnahmen seinem Wortlaut nach offen gehalten. § 1 Abs. 1 Satz 3 GewSchG führe die zulässigen gerichtlichen Maßnahmen nicht abschließend auf, sondern in Form von Regelbeispielen. Die Vorschrift lasse also auch andere als die ausdrücklich genannten Anordnungen zu. Der Umstand, dass eine Verpflichtung zur Aufgabe des Wohnsitzes einen schwerwiegenden Eingriff in Grundrechte des Verpflichteten darstelle, begründe ebenfalls keine Notwendigkeit, die Vorschrift einschränkend dahingehend auszulegen, dass eine solche Anordnung nicht umfasst sei. Der Gesetzgeber habe mit § 1 GewSchG eine verfahrensrechtliche Vorschrift geschaffen. Normadressat sei das Gericht, welches die „zur Abwendung weiterer Verletzungen erforderlichen Maßnahmen zu treffen“ habe. Ein eigenständiger materiellrechtlicher Anspruch sei in § 1 GewSchG hingegen nicht normiert, sondern vielmehr vorausgesetzt. Die materiellrechtliche Grundlage eines nach § 1 GewSchG durchsetzbaren Anspruchs ergebe sich aus der entsprechenden Anwendung von § 1004 BGB auf die in § 1 GewSchG genannten absolut geschützten Rechtsgüter des Körpers, der Gesundheit und der Freiheit.
Bei der Prüfung dieses Anspruchs sei eine einzelfallbezogene Abwägung kollidierender Grundrechte des Gewaltopfers und des Täters durchzuführen, da es sich bei der in § 1004 BGB enthaltenen Voraussetzung der Rechtswidrigkeit der Rechtsgutsbeeinträchtigung um ein Tatbestandsmerkmal handle, das nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Lichte ihrer Bedeutung auszulegen sei. Im Rahmen dieser Abwägung sei bei der Prüfung eines gegen einen Gewalttäter gerichteten Anspruchs auf Wohnsitzaufgabe zu beachten, dass das Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung nicht in den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 13 GG falle. Da Inhalt und Schranken des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG durch die Gesetze bestimmt würden, könne das Besitzrecht eines Gewalttäters an einer gemieteten Wohnung gegenüber dem gebotenen Schutz des Opfers keine absolute Schranke darstellen, sondern sei der Abwägung zugänglich. Für den Fall der von Opfer und Täter ursprünglich gemeinsam genutzten Wohnung bestätige dies die gesetzliche Wertung des § 2 GewSchG. Da folglich eine einzelfallbezogene Abwägung kollidierender Grundrechte im Rahmen der materiellrechtlichen Anspruchsprüfung stets durchzuführen sei, sei die rein verfahrensrechtliche Vorschrift des § 1 GewSchG nicht wegen möglicher Berührung der Grundrechte eines Gewalttäters einschränkend auszulegen.
Fazit
Die BGH Entscheidung weitet den Schutz der Opfer von Gewalttaten weiter aus. Täter, die ihren Opfern fortlaufend nachstellen und diese durch ihre körperliche Anwesenheit in unmittelbarer Nähe bedrohen, können sogar verpflichtet werden, eine neu angemietete Wohnung aufzugeben, selbst wenn das Opfer in dieser Wohnung nicht lebt. In Verfahren wegen Gewaltschutzanordnungen sowie bei sonstigen familienrechtlichen Fragestellungen stehen Ihnen unsere Rechtsanwälte der Kanzlei Petermann & Kollegen in Böblingen jederzeit zur Seite.