1,1 Promille-Grenze gilt auch für Pferdekutscher
Einen eher untypischen Fall hatte das OLG Oldenburg zu entscheiden. Es musste sich in seinem Urteil vom 25.02.2014 (Aktenzeichen: 1 Ss 204/13) mit der Frage auseinander setzen, ab welchem Alkoholwert die absolute Fahruntauglichkeit im Sinne des § 316 StGB beim Führen einer Pferdekutsche anzunehmen ist. Auch wenn vermutlich wenige Verkehrsteilnehmer in diese Situation geraten dürften, so ist die Urteilsbegründung auch für sonstige Fallkonstellationen interessant.
Sachverhalt: Amtsgericht und Landgericht uneinig
Der Angeklagte hatte mit einer von zwei Pferden gezogenen Kutsche auf einer öffentlichen Straße am Verkehr teilgenommen. Bei einer Verkehrskontrolle wurde eine Blutalkoholkonzentration von 1,98 Promille festgestellt. Anzeichen für eine „relative Fahruntüchtigkeit“ (Z.B. Ausfallerscheinungen) hatten die Tatsacheninstanzen nicht feststellen können. Während das Amtsgericht die absolute Fahruntauglichkeit als erwiesen erachtete, sprach die Berufungskammer des Landgerichts den Angeklagten frei. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Berufungsurteil hatte nunmehr Erfolg.
Rechtliche Würdigung: Anforderungen vergleichbar mit denen eines Kfz-Führers
Im Kern geht es um die Frage, ab welcher Blutalkoholkonzentration die „absolute Fahruntauglichkeit“ anzunehmen ist, also ab welcher Grenze eine unwiderlegbare Vermutung dafür besteht, dass der Führer eines Fahrzeuges (§ 316 StGB beschränkt sich ausdrücklich nicht auf Kraftfahrzeuge) nicht mehr in der Lage ist, dieses Fahrzeug sicher zu führen. Diese Grenze zieht der BGH für Kraftfahrzeuge bei 1,0 Promille zuzüglich eines Sicherheitsaufschlages von 10 Prozent. Daher rührt die 1,1 Promille-Grenze. Für Fahrradfahrer geht die höchstrichterliche Rechtsprechung bislang von einem Grenzwert von 1,6 Promille aus.
Das Landgericht argumentierte, die bestehenden Grenzen für Kraftfahrzeugführer und Radfahrer seien nicht anwendbar. Kraftfahrzeuge führen deutlich schneller als Pferdekutschen, sodass sich hieraus ein höheres Gefährdungspotenzial ableite, bei Radfahrern sei die Grenze trotz geringer Geschwindigkeit erforderlich, da es für die Fahrtauglichkeit entscheidend auf den Gleichgewichtssinn ankomme, was bei Kutschfahrten nicht der Fall sei.
Das OLG hingegen arbeitete heraus, dass den Kutscherführer gleichsam hohe Anforderungen träfen, welche die Anwendung der Promillegrenze für Kraftfahrzeugführer erfordere. Fehlender Gleichgewichtssinn durch etwa zu locker oder ungleich geführte Leinen oder falsche Reaktionen führten zu einer Gefährdung des Straßenverkehrs, da ein Pferd nicht zu einer angemessenen Eigenreaktion fähig sei. Auf die Geschwindigkeit komme es nach Ansicht des OLG nicht entscheidend an, da die 1,1 Promille-Grenze auch für langsame Kraftfahrzeuge wie Mofas gelte.
Fazit / Weiterführender Hinweis
Die Entscheidung verdeutlicht, worauf es bei den Trunkenheitsdelikten ankommt. Der Schutzzweck ist den Straßenverkehr vor fahruntüchtigen Verkehrsteilnehmern zu schützen. Ab wann dies der Fall ist, ist keine rechtliche Frage einer starren Frist, sondern eine medizinische. Generalisierend wird angenommen, dass ab 1,1 Promille niemand in der Lage sein kann, ein Kfz sicher im Verkehr zu führen (unwiderlegliche Vermutung).
Der Verkehrsteilnehmer darf sich jedoch nicht blind auf eine bestimmte Promillegrenze verlassen. War für Pferdekutschen bislang keine exakte Grenze gezogen, so legt das OLG Oldenburg nun den gleichen Maßstab wie bei Kraftfahrzeugen an. Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse könnten auch dazu führen, dass beispielsweise auch für Radfahrer die Grenze abgesenkt wird. Dies ist im Übrigen nicht vom Rückwirkungsverbot („nulla poena sine lege“ = keine Strafe ohne Gesetz) erfasst, da der Tatbestand nicht an einen bestimmten Promillewert, sondern an die Fahruntauglichkeit selbst geknüpft ist.
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