BGH: Keine generelle Ungültigkeit des Flugscheins bei Abweichung von der gebuchten Flugreihenfolge
Der unter anderem für das Reise- und Personenbeförderungsrecht zuständige Xa-Zivilsenat hat mit Urteil vom 29. April 2010, Aktenzeichen Xa ZR 5/09, entschieden, dass der (generelle) Ausschluss des Rechts eines Kunden, die Beförderungsleistung nur teilweise in Anspruch zu nehmen, den Kunden entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.
Abweichung von der gebuchten Flugreihenfolge durch Allgemeine Geschäftsbedingungen ausgeschlossen
In den Allgemeinen Beförderungsbedingungen von British Airways ist geregelt, dass der Flugschein seine Gültigkeit verliert, wenn nicht alle "Flight Coupons" in der angegebenen Reihenfolge genutzt werden. Die Deutsche Lufthansa AG verwendet im Geschäftsverkehr "Beförderungsbedingungen für Fluggäste und Gepäck (ABB Flugpassage)", in denen es unter anderem heißt: "Der Flugschein verliert seine Gültigkeit und wird nicht zur Beförderung angenommen, wenn Sie nicht alle Flugcoupons vollständig und in der im Flugschein vorgesehenen Reihenfolge ausnutzen. Die Inanspruchnahme der gesamten Beförderungsleistung ist wesentlicher Bestandteil des mit uns geschlossenen Beförderungsvertrages. Die Kündigung einzelner Teilstrecken (Coupons) ist vertraglich ausgeschlossen." Derartige oder ähnliche Klauseln verwenden auch andere Luftverkehrsunternehmen, um zu verhindern, dass Beförderungen auf Teilstrecken zu günstigeren Konditionen erreicht werden, als dies nach dem Tarifsystem vorgesehen ist. Beispielsweise soll damit vermieden werden, dass Flugscheine für Flüge, bei denen eine Zwischenlandung vorgesehen ist (Fernflug mit Zubringerflug), nur für die zweite Teilstrecke (Fernflug) genutzt werden. Dazu besteht dann ein Anreiz, wenn der Preis für beide Flüge zusammen niedriger ist als der Preis, der bei Buchung nur des Fernflugs verlangt wird. Die Klausel soll ferner ausschließen, dass Fluggäste bei günstig angebotenen Hin- und Rückflügen die Tickets der einzelnen Flüge anders als vorgesehen kombinieren oder nur für Teilstrecken nutzen und so zu einem geringeren Preis fliegen, als wenn sie von vorneherein die tatsächlich geflogene Strecke gebucht hätten.
Unangemessene Benachteiligung des Fluggastes durch den Ausschluss der Abweichung
Die mit den Klagen der Verbraucherzentrale befassten Oberlandesgerichte haben die Gültigkeit der Klauseln unterschiedlich beurteilt. Das OLG Köln hat sie für wirksam, das OLG Frankfurt am Main für unwirksam gehalten. Der Bundesgerichtshof hat nunmehr entschieden, dass der Fluggast entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt wird, wenn ihm das Recht, die Beförderungsleistung nur teilweise in Anspruch zu nehmen (z.B. nur einen von zwei gebuchten Flügen anzutreten), generell genommen wird. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch ist der Gläubiger (hier: der Fluggast) grundsätzlich berechtigt, nur einen Teil der ihm vertraglich zustehenden Gesamtleistung vom Schuldner (hier: dem Luftverkehrsunternehmen) zu fordern, sofern nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegensteht. Danach kann der Anspruch auf die Teilleistung zwar ausgeschlossen sein, wenn der Fluggast schon bei Vertragschluss nicht die Absicht hat, die Gesamtleistung des Luftverkehrsunternehmens in Anspruch zu nehmen, sondern diese nur deshalb bucht, weil er auf diese Weise an einen Preisvorteil gelangen will, der etwa Fluggästen angeboten wird, die Unbequemlichkeit und Zeitverlust einer Umsteigeverbindung auf sich nehmen, obwohl von dem von ihnen gewünschten Abflughafen auch – häufig allerdings teurere – Direktflüge zu ihrem Endziel angeboten werden. Jedoch erfasst die Klausel beispielsweise auch Fälle, in denen sich der Fluggast wegen einer veränderten Terminplanung bereits am Abflughafen für den Fernflug oder in dessen Nähe befindet oder in denen er den Zubringerflug verpasst, den Fernflug aber noch auf anderem Wege erreichen kann. In diesen Fällen steht der Grundsatz von Treu und Glauben dem Anspruch des Fluggastes auf die Beförderung mit dem Fernflug nicht entgegen.
Legitimes Interesse des Fluggastes an der Abweichung von der gebuchten Flugreihenfolge
Im Hinblick hierauf kann das legitime Interesse der Luftverkehrsunternehmen, eine Umgehung ihres jeweiligen Tarifsystems zu verhindern, den generellen Ausschluss des Anspruchs auf Teilleistungen nicht rechtfertigen. Die Luftverkehrsunternehmen könnten ihre Interessen zumutbarerweise durch eine andere, mildere Regelung ebenso wahren. Hierzu genügte eine Regelung, die den Fluggast gegebenenfalls zur Zahlung eines höheren Entgeltes verpflichtet, wenn die Beförderung auf einer vorangehenden Teilstrecke nicht angetreten wird, etwa, indem in den Beförderungsbedingungen bestimmt würde, dass bei Nichtantritt eines Flugs für den verbleibenden Flug derjenige (höhere) Preis zu zahlen ist, der zum Zeitpunkt der Buchung für die isolierte Buchung nur dieses Flugs verlangt worden ist.
Ausblick
Die aus Sicht des Fluggastes zu begrüßende Entscheidung verbessert jedenfalls dessen Flexibilität, wenn nach der Buchung die Veränderung von Terminen eine Abweichung von der ursprünglichen Flugreihenfolge notwendig macht. Gleichzeitig weist der BGH den Fluggesellschaften den Weg, um die – möglicherweise bereits zum Zeitpunkt der Buchung beabsichtigte – Änderung der Flugreihenfolge wirtschaftlich unattraktiv zu machen. Etwaige finanzielle Einsparungen kann der Fluggast von der Entscheidung wohl nicht erwarten, eine bessere Beweglichkeit und den Anspruch auf Beförderung ausschließlich auf einem Teil der geplanten Flugreihenfolge hingegen schon.