Beschränkte Möglichkeiten der Vaterschaftsanfechtung für den biologischen Vater sind verfassungsgemäß
Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die bisherige Rechtsprechung zur Vaterschaftsanfechtung durch den biologischen Vater bekräftigt. Es ist mit dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG vereinbar, den biologischen Vater von der Anfechtung auszuschließen, um eine bestehende rechtlich-soziale Familie zu schützen.
BVerfG 04.12.2013 – 1 BvR 1154/10
Pressemitteilung Nr. 77/2013 v. 20.12.2013
Sachverhalt
Der Beschwerdeführer ist überzeugt, biologischer Vater einer Tochter zu sein, die in die Ehe der Kindesmutter mit einem anderen Mann hineingeboren wurde. Die außereheliche Beziehung der Kindesmutter zum Beschwerdeführer endete, als das Kind vier Monate alt war. Streitig blieb die Intensität der Beziehung.
Seit das Kind elf Monate alt ist, lebt es mit der Kindesmutter, dem rechtlichen Vater und seinen minderjährigen Geschwistern in einem gemeinsamen Haushalt.
Die Entscheidung
Der Beschwerdeführer versuchte zunächst vor dem zuständigen Familiengericht die Vaterschaft des mit der Kindsmutter verheirateten Mannes anzufechten.
Die Vaterschaftsanfechtungsklage des Beschwerdeführers blieb vor den Fachgerichten jedoch erfolglos. Nach Auffassung der Familienrichter, steht die sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater einer Anfechtung gemäß § 1600 Abs. 2 BGB entgegen.
Der Beschwerdeführer hält die Abweisung seiner Vaterschaftsanfechtungsklage vor den Fachgerichten für verfassungswidrig; sie verletze unter anderem Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG sowie Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Der Gesetzgeber sei verfassungsrechtlich verpflichtet, dem biologischen Vater die rechtliche Elternstellung einzuräumen, es sei denn, nach einer Interessenabwägung im Einzelfall stünden ausnahmsweise gleichrangige Interessen anderer Beteiligter entgegen. Gefährde eine Anfechtung im konkreten Einzelfall weder das Kindeswohl noch den Familienfrieden, müsse sich der biologische Vater durchsetzen.
Die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen – so das Bundesverfassungsgericht – nicht vor.
Das Bundesverfassungsgericht habe bereits in BVerfGE 108, 82, 87 f., 90, 106, 109, 112 f.). festgestellt, dass es mit Art. 6 Abs. 2 GG vereinbar sei, den mutmaßlichen biologischen Vater zum Schutz der rechtlich-sozialen Familie von der Vaterschaftsanfechtung auszuschließen, auch wenn der biologische Vater vorträgt, vor und in den Monaten nach der Geburt eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind aufgebaut zu haben und hat für diesen Fall lediglich aus Art. 6 Abs. 1 GG ein Umgangsrecht abgeleitet. Auch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte folge nichts anderes. Der Gerichtshof habe insbesondere klargestellt, dass die Entscheidung darüber, ob dem biologischen Vater in dem Fall, dass die rechtliche Vaterschaft mit der Rolle als sozialer Vater übereinstimmt, die Anfechtung der Vaterschaft gestattet werden soll, innerhalb des Beurteilungsspielraums des jeweiligen Mitgliedstaates liege.
Die Verfassungsbeschwerde werfe vor diesem Hintergrund keine klärungsbedürftige verfassungsrechtliche Frage von grundsätzlicher Bedeutung und der Beschwerdeführer habe nicht darlegt, dass die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen unter Heranziehung der genannten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung seine Grundrechte verletzen.
Rechtlicher Hintergrund
Wird ein Kind in eine bestehende Ehe hineingeboren, so gilt gem. § 1592 Nr. 1 BGB der Ehemann als rechtlicher Vater des Kindes. Bestehen begründete Zweifel an der Vaterschaft, so können gem. § 1600 BGB insbesondere der rechtliche Vater, der (vermeintliche) biologische Vater, die Mutter und das Kind die bestehende Vaterschaft grundsätzlich anfechten.
Eine Anfechtung durch den mutmaßlichen biologischen Vater ist jedoch ausgeschlossen, wenn zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater eine sozial-familiäre Beziehung besteht. Das Vorliegen einer solchen Beziehung hindert den Lauf der Anfechtungsfrist nicht.
Zu beachten ist ferner, dass hierfür nach § 1600d BGB eine Anfechtungsfrist von zwei Jahren besteht. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Anfechtungsberechtigte von den Umständen erfährt, die gegen die Vaterschaft sprechen.
Hat der rechtliche Vater Unterhaltsleistungen an das Kind erbracht und wird im Laufe des Anfechtungs- und Abstammungsverfahrens festgestellt, dass rechtlicher und biologischer Vater nicht identisch sind, so geht der Unterhaltsanspruch des Kindes auf den rechtlichen Vater über, soweit die Vaterschaft des biologischen Vaters richterlich festgestellt wird.
Ausblick
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betont erneut die Bedeutung der sozial-familiären Beziehung zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater. Da das Vorliegen einer sozial-familiären Beziehung zwar die Anfechtung durch den mutmaßlichen biologischen Vater (vorübergehend) ausschließt, gleichzeitig jedoch die Anfechtungsfrist nicht gehemmt wird, ist bei begründeten Zweifeln an der Vaterschaft möglichst zeitnah Hilfe in Anspruch zu nehmen. Gleiches gilt auch bei Zweifeln des rechtlichen Vaters an seiner Vaterschaft. In diesen Fällen hindert das Vorliegen einer sozial-familiären Beziehung zwar nicht die Anfechtung, die Anfechtungsfrist ist gleichwohl zu beachten.
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