MPU auch beim Ersttäter bereits ab 1,1 Promille
Es war bislang auch in Baden-Württemberg gängige Praxis, dass bei einem Ersttäter einer Alkoholstraftat eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) erst ab einem Promillewert von 1,6 angeordnet wird. Inzwischen hat das baden-württembergische Innenministerium verfügt, dass bei jeder Alkoholstraftat, die zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis führt, die Anordnung einer MPU zu erfolgen hat. Vorausgegangen war ein entsprechender Beschluss des VGH Mannheim vom 15.01.2014 (Az: 10 S 1748/13).
Sachverhalt: Trunkenheitsfahrt mit 1,2 Promille
Nach einer Trunkenheitsfahrt war dem Kfz-Führer seine Fahrerlaubnis entzogen worden. Bei ihm war eine Blutalkoholkonzentration von 1,2 Promille festgestellt worden. Durch das AG Schopfheim wurde der Kfz-Führer wegen eines Verstoßes gegen § 316 StGB verurteilt, die Fahrerlaubnis war entzogen und eine 7-monatige Sperrfrist gem. § 69 StGB zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis gesetzt worden. Nach Ablauf der Sperrfrist begehrte er die Wiedererteilung, die im Hinblick auf die Erforderlichkeit einer MPU abgelehnt wurde. Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes begehrte der Antragsteller die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis.
Rechtliche Würdigung: Notwendigkeit der MPU folgt aus § 13 S. 1 Nr. 2 d) FeV
Der VGH setzte sich auf Grund der Verfahrensart zunächst mit dem Entscheidungsmaßstab auseinander und stellte klar, dass das Begehren des Antragstellers keine endgültige oder unumkehrbare Vorwegnahme der Hauptsache darstelle, sodass der Anordnungsanspruch nicht mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit bestehen müsse, sondern bereits überwiegende Erfolgsaussichten genügten. Selbst dies sah das Gericht im konkreten Fall jedoch nicht als gegeben an.Der Anspruch auf Wiedererteilung setze die im Zweifelsfall vom Antragsteller nachzuweisende Fahreignung voraus (§ 2 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 4 S. 1 StVG, §§ 11 Abs. 120 Abs. 1 FeV). Diesen Nachweis sah der VGH als nicht geführt an, da der Antragsteller das notwendige (positive) medizinisch-psychologische Gutachten (= MPU-Gutachten) nicht beigebracht habe. Die Notwendigkeit zur Beibringung eines MPU-Gutachtens sieht der VGH in der Regelung des § 13 S. 1 Nr. 2 d) FeV. Hiernach sei – ohne Ermessensspielraum – eine MPU anzuordnen, wenn die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchstaben a) – c) genannten Gründen entzogen werde. Die gesetzliche Regelung liest sich im Wortlaut wie folgt:
„Zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis (…) ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass (…)
2. ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn
a) nach dem ärztlichen Gutachten zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen,
b) wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden,
c) ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde,
d) die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchstaben a bis c genannten Gründe entzogen war (…)“
Für die Einschlägigkeit von lit. a) bereits die Feststellung, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Alkoholmissbrauchs erfolgt ist. Nach Auslegung des VGH belege nun jede Trunkenheitsfahrt nach § 316 StGB einen Alkoholmissbrauch, da der Kfz-Führer nicht zwischen einem die Fahreignung ausschließenden Alkoholkonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen unterscheiden könne. Die strafgerichtliche Erkenntnis, dass sich der Kfz-Führer als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen habe, ersetze eine originäre Prüfung im verwaltungsrechtlichen Erteilungsverfahren. Daher sei die Verwaltungsbehörde verpflichtet gewesen, die Frage der Fahreignung klären zu lassen und die Wiedererteilung von der Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig zu machen.
Auswirkungen auf die Praxis / Kritik:
Die VGH-Entscheidung überzeugt in ihrer Argumentation nicht. Wenn jeder Fall des § 316 StGB unter lit. a) des § 13 S. 1 Nr. 2 FeV subsumiert werden könnte, so wäre lit. c), welcher als eigenes Tatbestandsmerkmal das Führen eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille aufführt, überflüssig. Nach teleologischer Auslegung der Vorschrift muss lit. a) demnach so ausgelegt werden, dass lit. c) ein eigener Anwendungsbereich verbleibt. Wäre die Auslegung des VGH vom Gesetzgeber gewollt gewesen, hätte er auf lit. c) verzichtet und lit. a) entsprechend präzisiert. Für den Tatbestand lit. a) ist daher richtigerweise ein einschränkendes Merkmal (d.h. über die Anlasstat hinausgehende Anzeichen für Alkoholmissbrauch) geboten. Streng genommen könnte nach der VGH-Rechtsprechung auch jede relative Fahruntüchtigkeit nach § 316 StGB (zwischen 0,3 und 1,1 Promille bei konkreten Ausfallerscheinungen möglich) den Tatbestand von lit. a) erfüllen. Die weitere Entwicklung bleibt daher spannend.
Trotz berechtigter Kritik an der Entscheidung bzw. der grundlegenden Argumentation muss dieses Urteil bei der rechtlichen Beratung Beachtung finden. Im Zuge dieser Entscheidung wies das baden-württembergische Innenministerium sämtliche Fahrerlaubnisbehörden im Bundesland an, für jeden alkoholbedingten Fahrerlaubnisentzug – mindestens ab 1,1 Promille – eine MPU zu verlangen. Auch in Bayern wird eine entsprechende Kurskorrektur aktuell geprüft. Für die Praxis bedeutet dies, dass bei einem Promillewert von über 1,1 Promille mehr denn je Eile geboten ist und eine MPU vorbereitet werden sollte. Die MPU-Anordnung als solche ist nicht anfechtbar, d.h. nicht isoliert von einem Gericht überprüfbar, sondern nur inzident bei einem Fahrerlaubnisentzug bzw. der Weigerung einer Neuerteilung. In der Zwischenzeit werden durch die verstreichende Zeit Tatsachen geschaffen, sodass aus anwaltlicher Sicht in den meisten Fällen eine Einstellung auf die aktuelle Rechtsprechung sinnvoll erscheint.
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